Die Orchesterreise ihres Lebens

Plessa. Eine Konzertreise führt die Musiker des Jugendblasorchesters Plessa in einst von Deutschen besiedelte Orte nach Südamerika. Wie es dazu gekommen ist. Von Manfred Feller
| 15:07 Uhr
Generalprobe in Plessa vor dem Abflug nach Brasilien
 Das Jugendblasorchester der Bergarbeiter Plessa, verstärkt durch langjährige Musiker, probt vor der Brasilienreise noch einmal gemeinsam.
Das Jugendblasorchester der Bergarbeiter Plessa, verstärkt durch langjährige Musiker, probt vor der Brasilienreise noch einmal gemeinsam. FOTO: LR / Manfred Feller

Das Jugendblasorchester der Bergarbeiter Plessa fliegt während der Herbstferien in die Sonne. Am Donnerstag startet das Flugzeug nicht in Richtung Kreta oder Mallorca, sondern in das mehr als 9000 Kilometer entfernte Brasilien. Auf dem Programm steht bis zum 19. Oktober eine Konzertreise mit sieben Auftritten im Südosten des südamerikanischen Landes. Dort sind im 19. Jahrhundert zahlreiche Orte durch deutsche Siedler gegründet worden. Etwa jeder zehnte Brasilianer, so wird geschätzt, hat heute deutsche Wurzeln.

Höhepunkt der Reise in dem beginnenden subtropischen Sommer wird der Auftritt beim Oktoberfest in Blumenau sein. Die Großstadt mit mehr 350 000 Einwohnern, die Mehrheit ist europäischstämmig, liegt unweit des Atlantiks und erwartet ungefähr 600 000 Besucher aus aller Welt. Dies ist nach dem Karneval in Rio das zweitgrößte Fest in dem Land. Und die 36 Musikerinnen und Musiker des Jugendblasorchesters Plessa sind mit ihren zehn Begleitern mittendrin. Auf diesen unglaublichen Trubel, das gibt der 16-jährige Baris Aschenbach aus Plessa zu, freut er sich besonders. Er hat mit zehn Jahren in der Bläserklasse der Grundschule mit dem Alt-Saxofon-Spielen angefangen.

 Der im 19. Jahrhundert von deutschen Siedlern gegründete Ort Blumenau ist heute eine Großstadt. Dort wird das Jugendblasorchester Plessa beim Oktoberfest spielen.
Der im 19. Jahrhundert von deutschen Siedlern gegründete Ort Blumenau ist heute eine Großstadt. Dort wird das Jugendblasorchester Plessa beim Oktoberfest spielen. FOTO: Frank Werner

Das Alt-Saxofon hat auch Thea Opitz (15) aus Plessa im Gepäck. Sie ist seit zehn Jahren dabei. „Es macht immer noch Spaß“, sagt sie. Für Gregor Joachim (17) aus Finsterwalde wird es, wie für fast alle, die bislang weiteste Reise sein. Ab der 3. Klasse lernte er Bariton und seit eineinhalb Jahren ist die Posaune sein Instrument.

Eine Konzertreise hat das Jugendblasorchester, das von erfahrenen Musikern als ständige Mitglieder verstärkt wird, bislang noch nicht unternommen. Weiteste Auftrittsorte waren Baruth/Glashütte mit der Bergparade und in Berlin die Grüne Woche. Warum nun ausgerechnet Brasilien?

Für die Vorgeschichte ist der Plessaer Musiker Frank Werner verantwortlich. Er ist stellvertretender Vereinsvorsitzender des Orchesters der Bergarbeiter Plessa und seines „Ablegers“ Jugendblasorchester. Ein Zufall führte ihn in die Ferne.

 Aus der Vogelperspektive ähnelt die Kleinstadt Pomerode mit der Kirche im Zentrum einem deutschen Mittelgebirgsdorf hierzulande.
Aus der Vogelperspektive ähnelt die Kleinstadt Pomerode mit der Kirche im Zentrum einem deutschen Mittelgebirgsdorf hierzulande. FOTO: Frank Werner

In Kahla kam er mit der Theologin Ines Schröder-Helm, Tochter einer Gartennachbarin, ins Gespräch. Sie erzählte von ihrem Aufenthalt im brasilianischen Pomerode unweit Blumenau. Die etwa 32 000 Einwohner zählende Kleinstadt, 1863 von Einwanderern aus Pommern gegründet, hat mit mehr als 90 Prozent den höchsten deutschstämmigen Anteil im Land. Die Pfarrerin unterrichtete dort die seit etwa 60 Jahren schwindende deutsche Sprache. Auch die klimatischen Bedingungen mit einer Jahres-Durchschnittstemperatur von 20 Grad kamen zur Sprache.

Frank Werner erzählte, dass er die mitteleuropäische Kälte im Winterhalbjahr gar nicht mag. „Dann fliege doch nach Brasilien“, habe Ines Schröder-Helm, jetzt Pfarrerin in der Schweiz, ihm geraten. Einige Zeit später saß er auch schon im Flugzeug.

 Die Nachkommen der deutschen Siedler pflegen ihre Traditionen. Am Stadttor von Pomerode in Richtung Blumenau heißt es auf den Fahnen in Portugiesisch und Deutsch „Unser kleines Deutschland“.
Die Nachkommen der deutschen Siedler pflegen ihre Traditionen. Am Stadttor von Pomerode in Richtung Blumenau heißt es auf den Fahnen in Portugiesisch und Deutsch „Unser kleines Deutschland“. FOTO: Frank Werner

Er stellte fest, dass die Deutschstämmigen an Traditionen ihrer Vorfahren festhalten – vom Vereinswesen bis hin zur Musik. „Sie sind auch gute Biertrinker“, bemerkt der Plessaer. Er lernte viele Leute kennen – wie Bürgermeister, den deutschen Honorarkonsul und auch den Textilunternehmer Charles Schneider. Als dieser erfuhr, dass hinter Frank Werner ein Orchester steht, war die Einladung perfekt. Wieder zu Hause, griff Orchesterleiterin Andrea Müller, Pädagogin an der Kreismusikschule, die Einladung auf. Nur auf der Basis von Absprachen per E-Mail wollte sie sich mit dem Orchester nicht auf die Reise machen. Sie zurrte das Programm mit allen Auftritten im Oktober 2018 vor Ort persönlich fest.

Die speziellen musikalischen Vorbereitungen darauf laufen seit Monaten. „Diese Reise ist für uns eine große Herausforderung. Deshalb haben wir schon in den Sommerferien angefangen zu proben. Alle sind begeistert bei der Sache. Ein Dank gilt der Musikschule für die Ausbildung und allen Förderern, die diese Konzertreise ermöglicht haben“, so Andrea Müller.

Das Orchester hat zwei Programme vorbereitet – ein sinfonisches und eines mit Bergmärschen. Zum Repertoire gehören auch typische Oktoberfestmusik, deutsche Schlager (werden gewünscht) und Polka.

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